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Aus Flüchtlingen werden Bäcker-Azubis

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Ein Pilotprojekt startet durch: 19 Flüchtlinge aus Nordafrika und Syrien haben ihre Ausbildungsverträge für das Bäckerhandwerk unterschrieben und beginnen dieser Tage ihre Ausbildung in Betrieben der Kreise Ravensburg und Bodenseekreis. Der Weg dahin war nicht einfach. Die, die die Idee hatten, Flüchtlingen einen Ausbildungsplatz zu verschaffen, organisierten einen Sprachkursus, steckten aber auch Rückschläge ein.

Die Initialzündung ging von Bäckermeister Hannes Weber im August vergangenen Jahres aus. "Die Flüchtlinge kamen in immer größerer Anzahl, Kinderleichen im Meer sah man auf Pressefotos und zugleich war das Interesse an der Bäcker-Ausbildung an einem Tiefpunkt angekommen", erinnert sich Weber. Der Häfler Bäcker sah plötzlich einen Weg, wieder Menschen für das Bäckerhandwerk zu interessieren.

Der erste Schritt

"Was wäre denn, wenn wir die Syrer, die vor dem Krieg fliehen, zu Bäckern ausbilden?" – diese Frage trieb den Mann um und in seinem Wolfegger Kollegen Gerold Heinzelmann fand er schnell einen Verbündeten. Heinzelmann ist Lehrlingswart der Bäcker.

Sie kontaktierten wichtige Ansprechpartner, nutzten ihre Netzwerke und legten die Idee bei verschiedenen Dienststellen auf den Tisch. "Überall offene Türen", fasst Weber die Reaktion zusammen. So auch in der Agentur für Arbeit Konstanz-Ravensburg. Walter Nägele, Sprecher der Agentur, erinnert sich: "Die Chefin der Agentur für Arbeit, Jutta Driesch, hat aus der Idee ein Konzept entwickelt." Jutta Driesch holte die Jobcenter und die Aufnahmebehörden an den Tisch, informierte Berufsschule und Handwerkskammer in Ulm, und binnen kurzer Zeit war klar, dass potenziell 300 Syrer für die Ausbildung in Frage kämen. Bei den ausbildungsplatzsuchenden deutschen Jugendlichen gab es zu diesem Zeitpunkt niemanden mehr, der Bäcker wollte.

Erste Hindernisse

Schwierig wurde es bei der Auswahl der Teilnehmer. Die Mehrheit der Syrer hatte im Bäcker-Alltag große Probleme. "Einige wollten keine Anweisungen von Frauen entgegen nehmen", erinnert sich Weber. Schwieriger noch war der Umgang mit den Zutaten Alkohol und Schweinefleisch. Das lehnten viele aus religiösen Gründen kategorisch ab. Und im obligatorischen Praktikum sprang mehr als die Hälfte ab. Ein Syrer weigerte sich, die Spülmaschine zu bedienen, andere sahen in dem Job nicht das, was sie künftig tun wollten. "Das ist eine ganz normale Situation", sagt Walter Nägele. "Auch bei deutschen Auszubildenden springen einige ab, weil sie andere Vorstellungen vom Beruf haben." 300 Syrer waren geladen, 60 kamen und am Ende blieben 20 Menschen übrig. Von denen haben schließlich fünf einen Vertrag unterschrieben.

Sprache lernen

Nachdem so viele Syrer das Projekt abgebrochen hatten, wurden Flüchtlinge aus Nordafrika eingeladen. "Die Rückmeldungen der Betriebe, in denen die Afrikaner arbeiteten, waren sehr positiv", sagt Nägele.

Weiter ging es, der Sprachkursus startete. Hier kam Professor Jürgen Belgrad, Sprachdidaktiker an der Pädagogischen Hochschule Weingarten, ins Spiel. Er hat das Prinzip des Sprache lernens durch gestisches Vorlesen entwickelt. Drei seiner Studentinnen konnten als Lehrerinnen für die Sprachkurse mit den angehenden Bäckern gewonnen werden.

Die Sprachkurse gingen in der vergangenen Woche zuende, jetzt beginnt die Ausbildung in unterschiedlichen Betrieben in den beiden Kreisen. "Wir hatten Erfolg", sagt Hannes Weber. "Und wir haben gezeigt, dass es funktioniert." Jetzt sei es an der Zeit, auch andere Handwerksberufe, bei denen wenig Nachfrage nach Ausbildungsstellen herrscht, in ein solches Projekt einzubeziehen. Die Finanzierung muss überarbeitet werden. "Das war alles nicht ganz einfach. Die Finanzierung der Kurse durch die Bundesanstalt für Arbeit funktionierte nur im vergangenen Jahr. Mittlerweile hat der Gesetzgeber diese Türe geschlossen, jetzt muss die Finanzierung über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgen", sagt Walter Nägele. Die Arbeitsagentur hat rund 10000 Euro gezahlt, eine Spende eines Fördervereins betrug 2500 Euro und die restlichen 2200 Euro stammen aus der Tasche von Gerold Heinzelmann und Hannes Weber.

Die Methodik

Die Sprachkurse nach Professor Jürgen Belgrads Unterrichtsmethodik zeigten sehr schnell Erfolg. Die Schüler lernten schnell, konnten vor allem lateinische Schriftzeichen lesen und erwarben damit die Voraussetzungen für den Ausbildungsplatz. Und die drei angehenden Lehrerinnen Ulrike Barbknecht, Nika Dorner und Jasmin Hepp machten durchweg positive Erfahrungen. "Die Teilnehmer sind pünktlich, sind respektvoll im Umgang mit uns und haben mittlerweile ein großes Vertrauen entwickelt", erzählt Ulrike Barbknecht. Sie werden mit den künftigen Auszubildenden in Kontakt bleiben. Sie machen selbst im September ihr Staatsexamen und beginnen im Februar 2017 ihre Referendariate. Schon jetzt haben sie ein Lehrbuch nach den didaktischen Prinzipien von Jürgen Belgrad für diese Sprachkurse geschrieben, haben Filmmaterial erstellt und Unterrichtsmaterialien entwickelt.


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