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Von Elstern und Raketenangriffen

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"Das Schöne hat die Funktion, das Leben erträglich zu machen", meint Autor Norbert Scheuer. Am Freitag hat er im Kiesel des k42 aus seinem Buch "Die Sprache der Vögel" vorgelesen und gab Einblicke in dessen Entstehung.

"Eigentlich wollte ich eine Geschichte über jemanden schreiben, der in der Eifel sitzt und Vögel beobachtet", erklärt der Autor seinen Zuhörern. Viele seiner Werke befassen sich mit dem eingegrenzten Kosmos der Eifel und seiner Heimatstadt Kall. In einem Supermarkt-Café sei Scheuer dann aber auf einen Afghanistan-Veteranen gestoßen und entschloss als Folge dieser Begegnung, sein gewohntes Terrain erzählerisch zu erweitern.

Mit einer Rahmenhandlung, die das Geschehen in Kall verankert, entdeckt Scheuer die spannungsreichen Möglichkeiten der Ferne. "Die Sprache der Vögel" handelt von dem Vogelliebhaber Paul Arimond, der als Bundeswehr-Sanitäter nach Afghanistan reist. Seine Tagebucheinträge sind kontrastreich: Nüchterne Beschreibungen traumatisierender Kriegserlebnisse von Raketenangriffen bis hin zum Aufsammeln von Gedärmen stehen neben den sensiblen Vogelbeschreibungen, die sowohl den Protagonisten als auch die Erzählung vereinnahmen. Bei seiner Ankunft am Flughafen in Afghanistan sind es die Elstern, die Pauls Aufmerksamkeit fesseln. Nur über seine Erinnerung an frühere Sichtungen dieser Vogelgattung, erfährt der Leser beiläufig Einzelheiten aus der Vergangenheit des Protagonisten.

Die Liebe zu allem, was fliegt, liegt Paul Arimond im Blut. Sein Urahne Ambrosius Arimond hat bereits im 18. Jahrhundert Forschungsreisen in weiter Ferne unternommen. Durch dessen Perspektive zeichnet Scheuer ein Afghanistan mit paradiesischen Zügen. Dem Publikum im Kiesel offenbarte er seinen Kunstgriff. Die Figur des Ambrosius sei notwendig gewesen, um die noch unverletzte Schönheit des Landes zu zeigen. Fernsehberichte seien meist fokussiert auf staubige Konfliktzonen. Dabei übertreffe die Vogelvielfalt Afghanistans mit Leichtigkeit die von ganz Europa.

Der deutsche Einsatz in Afghanistan wurde vor etwa einem Jahr beendet. Aktualität verliert das Buch aber noch lange nicht. Heimgekehrte Soldaten aus Konfliktgebieten und neue akute Kriegssituationen verleihen ihm ungebrochene Bedeutung. Scheuer betonte: "Das könnte so auch in jeder anderen Kriegssituation spielen." Im letzten Jahr stand das Buch auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse.


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