Jubel bei Grünen und Liberalen, Entsetzen bei CDU und SPD: Die Landtagswahl hat auch im Bodenseekreis ein politisches Erdbeben ausgelöst. Erstmals ist kein Christdemokrat direkt ins Parlament gewählt worden, sondern der Grüne Martin Hahn.
Um 18.35 Uhr läuft das erste Wahlergebnis im Sitzungssaal des Landratsamtes, der Wahlzentrale des Bodenseekreises, ein. Daisendorf ist ausgezählt, die Grünen liegen bei 36,6 Prozent, fast 14 Prozent vor der CDU. Die Mienen der versammelten Unionsgrößen, die sich um die Kandidatin Susanne Schwaderer geschart haben, werden noch düsterer als bei der ersten Prognose aus Stuttgart um 18 Uhr. Daisendorf gibt den Trend vor, der Rest des Kreises folgt. Nur in Oberteuringen bleibt die Union stärkste Kraft, in den 19 anderen Kommunen des Wahlkreises 69 haben die Grünen die Nase vorn, auch in Friedrichshafen mit 31,9 Prozent und in Überlingen mit 41,5 Prozent.
Angesichts des dramatischen Einbruchs der Partei, die Jahrzehnte lang am See die Agenda bestimmt hat (minus 10,7 Prozentpunkte für die CDU), gerät fast außer Acht, dass die SPD noch mehr unter die Räder gekommen ist. Bei 10,1 Prozent landen die einstige Volkspartei und ihr Kandidat Dieter Stauber, nur noch halb so viel wie vor fünf Jahren. Ein Erklärung hat der Häfler Gemeinderat noch nicht: "Es lag jedenfalls nicht am Wahlkampf vor Ort."
Die strahlende Sieger des Abends lässt sich Zeit und kommt erst ins Landratsamt, als sein Sieg schon ziemlich wahrscheinlich ist. Die Laune bei ihm, seinen Parteifreunden, der Familie und seiner Partnerin Sabine Becker, Oberbürgermeisterin von Überlingen, ist natürlich blendend. Er verspricht, sich mit ganzer Kraft für den Bodenseekreis einzusetzen, zollt seinen Mitbewerbern Respekt und drückt denen die Daumen, die noch hoffen können, über ein Überhang- oder Ausgleichsmandat in den Landtag einzuziehen.
Gewissheit im Reiterstüble
Das ist vor allem der Salemer Klaus Hoher von der FDP, der im Wahlkampf durch betonte Bodenständigkeit ausgefallen ist. Und so sitzt er auch an diesem Abend zurückhaltend in zweiter Reihe und wartet ab. Als sich nach 20 Uhr, als das Gesamtergebnis für den Wahlkreis vorliegt, der Sitzungssaal langsam leert, ist längst nicht klar, ob Hoher dank seiner 9,1 Prozent demnächst Landtagsabgeordneter ist. Das erfährt er erst später, auf der Wahlparty der FDP in seinem Reitererstüble in Salem-Grasbeuren.
Unklar ist zunächst auch, ob es Alice Weidel (AfD) geschafft hat. Sie taucht nicht im Landratsamt auf, auch sonst gibt sich dort niemand als Vertreter des zweiten Wahlsiegers des Abends zu erkennen.
Die anderen im Saal machen aus ihrem Entsetzen über die 12,4 Prozent für die Protestpartei keinen Hehl. "Wer versucht, demokratische Strukturen in Frage zu stellen, dem muss man klar entgegenhalten, dass unsere Demokratie funktioniert", sagt Landrat Lothar Wölfle (CDU) und spielt damit auf die Ankündigung der AfD an, "Wahlbeobachter" zu entsenden. Er bekommt dafürBeifall aus allen politischen Lagern.
Ob tatsächlich AfD-Vertreter die Auszählung beobachtet haben, lässt sich an dem Abend nicht zweifelsfrei feststellen. Offenkundige Wahlstörungen gibt es jedenfalls nicht, berichtet Wahlleiter Joachim Kruschwitz.