Quantcast
Channel: Stadt Friedrichshafen SeniorenApp Region
Viewing all articles
Browse latest Browse all 6959

Druiden am See: Wenn Männer die Zeit anhalten

$
0
0

Zwischen Mythos und echtem Leben: In Lottenweiler feilen Mitglieder eines besonderen Ordens am eigenen Ich

Im alten Dorfkrug von Lottenweiler erklingt Mozarts Posthornserenade. Wo früher Bier ausgeschenkt und Stammtischreden geschwungen wurden, sitzen währenddessen ein gutes Dutzend Männer in einer kleinen Nische. Der Raum ist von Kerzenlicht erhellt. Manche der Männer tragen Schärpen. Dann verstummt die Musik, und alle Aufmerksamkeit wendet sich dem Mann am efeu-umrankten Rednerpult zu.

"Wir bannen, was den Geist von unserer Arbeit zieht. Zum Werk, ich bitte Platz zu nehmen", sagt der Sprecher mit den kurzen Haaren und dem korrekt gestutzten Vollbart, der sich selbst als "Edelerz" bezeichnet. "Es sollte eine Stunde geben, in der man alle Hast und Eile vergisst. Als gebe es keine Zeit – und die Zeiger der Uhren bewegten sich nicht", spricht er fort.

Als sei die Zeit wirklich stehengeblieben, sitzen Männer zu allen Seiten des Raums um den Edelerz herum und lauschen seinen Worten. Die Sitzordnung ist festgelegt: Dem Edelerz gegenüber, am anderen Ende des kleinen Raums, sitzt der Untererz, praktisch Nummer zwei der Druiden der 30 Jahre alten "Bodensee-Loge Friedrichshafen", die sich gerade hier versammeln. Links vom Edelerz, hinter einem Sitzpult hat der altvordere Druide, der Alt-Edelerz, Platz genommen. Es gibt etliche weitere Posten: der Musicus etwa, jener Mann, der für das Spielen der Posthornserenade verantwortlich ist, sitzt am Rand des Raums vor dem CD-Player. Es gibt einen Schriftführer, einen Schatzmeister und mehrere Gäste, darunter ein befreundeter Druide der Loge "Salix Alba" aus der Schweiz.

Moment mal, Druiden? Das sind doch entweder Männer mit weißem Bart und Kutten, die mit goldenen Sicheln Misteln schneiden – so wie im Comic-Klassiker Asterix. Oder es sind, das ist der weniger kinderfreundliche Mythos, Geheimbündler, die in ihrer Freizeit Opferrituale abhalten oder hinter verschlossenen Türen Machtbündnisse schmieden. Beide Mythen haben zweifellos Unterhaltungswert. Aber die Druiden im alten Dorfkrug von Lottenweiler – und zehntausende ihrer Brüder weltweit – haben mit dem einen und mit dem anderen aber ganz offenbar wenig gemein. Das Schauspiel, dass sich gerade vollzieht, soll das belegen: Das Ritual, das "Edelerz" Bernd Giesser, im wahren Leben Marketing-Experte aus der Bodenseeregion, gerade leitet, ist nämlich eine sogenannte "weiße Loge".

Alle paar Wochen trifft sich das gute Dutzend Druiden um Giesser regulär zu einer Versammlung, der sogenannten "Innenloge". Was genau die Herren im mittleren bis höheren Alter aus etlichen Berufen da treiben, ist ein Stück weit echtes Geheimnis und bietet wohl deshalb Raum für allerlei Schauervorstellungen. Gäste sind bei der Zusammenkunft, die einem mehr als 230 Jahre alten Ritual der Druiden-Gründerväter folgen soll, nämlich grundsätzlich nicht erlaubt. Um Außenstehenden dennoch einen Einblick in das Geschehen zu geben, können die Druiden allerdings eine sogenannte "weiße Loge" einberufen. Der Ablauf soll weitgehend einem regulären Treffen entsprechen, mit einer Ausnahme: Gäste sind erlaubt. Für die Schwäbische Zeitung und einige weitere Gäste haben die Lottenweiler Druiden vor kurzem eine "weiße Loge" möglich gemacht.

Das bleibt unter uns

Gut 45 Minuten dauert das Ritual, dass Giesser mit den Worten vom Beginn einleitet. Wer teilnimmt, erlebt etwas, das sich am besten mit dem Trendbegriff "Entschleunigung" beschreiben lässt. In Zeiten, in denen Status-Updates in sozialen Netzwerken im 10-Sekunden-Takt auf dem Smartphone aufploppen, proben die Druiden praktisch den Aufstand. Beim Ritual stört kein Handy, selbst die Tür zur Loge wird abgeschlossen, damit keiner die Idylle stört. Derart abgeschottet absolvieren die Druiden dann ein klar strukturiertes Programm.

Mozart muss schon wieder ran. Der Musicus spricht ein paar erklärende Worte der Einleitung. Doch statt nur kurz in das Stück reinzuhören lauschen die Druiden minutenlang und fast regunglos der klassischen Musik. Manche im Raum schließen gar die Augen, als würden sie ein Nickerchen halten. Auch als wenig später einer der Männer die Kurzgeschichte eines buddhistischen Autors verliest, ein Appell für Menschlichkeit und Toleranz, gibt es keinerlei Unterbrechung. Dabei folgt die ganze Prozedur einem festen Schema und ganz ähnlich sollen auch die nicht-öffentlichen Logensitzungen ablaufen, erklärt Edelerz Giesser später im SZ-Gespräch.

Neben dem ritualhaften Beginn und Ende stehe stets ein Fachvortrag eines Logenmitglieds im Zentrum der Zusammenkünfte, so der Druide. Die Themen variieren. Von der Kurzgeschichte wie dieses Mal über Beiträge zu Gesellschaft und Politik bis zu persönlichen Lebensfragen- und Krisen der Logenmitglieder ist alles erlaubt. Der gegenseitige Respekt der Mitglieder füreinander regelt dann ganz klar, wie mit dem Inhalt des Vortrags umzugehen ist: Wenn der Vortragende keine Nachfragen wünscht, gibt es auch keine. Schließlich will sich mancher vielleicht nur ein Problem von der Seele reden oder einen Denkanstoß geben, ohne dass er zerredet wird. Darüber hinaus gilt: Das Gesagte verlässt den Kreis der Loge unter keinen Umständen.

Freiheit, Toleranz, Menschenrechte

Wer verstehen will, warum das so ist – und warum es überhaupt Druiden gibt – muss sich ihre Geschichte ansehen. Die modernen Druidenlogen, auch als "neuzeitliche Druiden" bezeichnet, gehen zurück auf Bewegungen des 18. Jahrhunderts. In einer Vermengung von keltischen und naturreligiösen Vorstellungen, den Idealen der Romantik und der beginnenden Aufklärung gründeten sich damals neuzeitliche Druidenbünde, die sich auf ihre althergebrachten Vorbilder als Symbole für Weisheit, Integrität und Gerechtigkeit beriefen.

In der Folgezeit schließen sich tausende Mitglieder, darunter bekannte Namen wie der des einstigen britischen Premiers Winston Churchill, den Bewegungen an. Manche Logen sind dabei den Geheimbünden artverwandt, wie sie auch die berühmt-berüchtigten Freimaurer unterhalten. Im Zentrum des Druidentums steht jedenfalls der Wille, die eigene Persönlichkeit reifen zu lassen und abseits den Alltags über sich und die Welt nachzudenken.

Manche druidische Vereinigungen nehmen bis heute Bezug auf keltische Stämme und Rituale, andere sind vom Hinduismus oder Buddhismus beeinflusst. Wieder andere sehen sich als konfessionell völlig ungebunden – dazu zählen die Lottenweiler Druiden als Teil des Deutschen Druiden-Ordens VAOD. "Der Druidenorden ist strikt überparteilich und konfessionell ungebunden", heißt es in einem Flyer der Vereinigung. "Ihr Ideal ist ein freies, menschenwürdiges und glückliches Dasein in einer freiheitlichen Gesellschaft", sagt Edelerz Giesser. Um das zu erreichen, haben sich die Druiden etliche Verhaltensregeln auferlegt, die wegen ihrer Achtung vor Humanität, Brüderlichkeit, Nächstenliebe, Toleranz und Achtung der Menschenrechte ein wenig an den aufklärerischen Geist etlicher europäischer Verfassungen erinnern.

Wer übrigens Teil einer Druidenloge sein will, braucht einen langen Atem. Zunächst muss der Anwärter regelmäßig an sogenannten Außenlogen – als dem öffentlich zugänglichen Sitzungsteil der Druidentreffen teilnehmen. Eines Tages kann er dann einen Antrag auf Aufnahme stellen. Nur wenn die anderen Druiden dem einstimmig stattgeben, ist der Weg für den neuen Druiden frei.

So kommt es auch, dass beim Druidentreffen in Lottenweiler Gäste mit am Tisch sitzen, nachdem die "weiße Loge" vorüber ist – und der Abend zum gemütlichen Teil übergeht: Nach dem festen Ritual setzen sich die Druiden nämlich – wie jeder andere Verein auch - zum Ausklang zusammen. Bei Häppchen und Getränken wird geplaudert und debattiert. Nur eines fällt auf: die Bemühung der Druiden, jeden Gesprächspartner ausreden zu lassen.

Druiden helfen Logenbruder

Druiden stehen in schweren Zeiten auch füreinander ein. So haben die Logenmitglieder in Lottenweiler jüngst eine neuartige Therapie für den Sohn von einem ihrem Mitglieder finanziert. Trotz seines Alters von fünf Jahren kann er nur wenige Worte sprechen, bisherige Therapieversuche schlugen fehl. Eine letzte Chance, die Ursache des Leidens herauszufinden, verspricht nun eine Gen-Analyse des Jungen, die von der Krankenkasse nicht bezahlt wird.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 6959