Das Publikum hat am Freitag im Casino Kulturraum im Fallenbrunnen einen Auftakt des Seekultfestivals der Studenten der Zeppelin-Universität einerseits und des Literaturherbstes andererseits erlebt, wie kaum zuvor. Freddy Langer hat zusammen mit der Pianistin Angelika Nebel und der Sopranistin Angelika Bamber mit der "Winterreise" gespielt.
Die Winterreise, das ist zunächst einmal ein Zyklus von 24 Gedichten von Wilhelm Müller, die Franz Schubert 1827, im Todesjahr Müllers und ein Jahr bevor Schubert starb, vertont hat. Ob Müller von Schuberts Vertonung wusste, ist nicht bekannt. Die Gedichte handeln von einer Liebe, die sich dem Erzähler entfernt, die er zumindest kaum zu erreichen vermag.
Freddy Langer hat sich aufgemacht, die Spuren oder besser Wege des Wilhelm Müllers zu finden. Er selbst ist Redakteur des FAZ-Reiseblattes und schreibt über viele seiner Reisen, unter anderem über den Fußmarsch zum Nordpol. Von Dessau nach Quedlinburg ist Müller 1824 mutmaßlich mit der Postkutsche unterwegs gewesen, Langer ist zu Fuß gelaufen. Im Wechsel mit einigen Liedern aus der Schubertschen Winterreise hat Langer über diese und andere Wanderungen gelesen. Langer würzt seine Texte mit Humor, mit Betrachtungen und kritischen Anmerkungen.
Dunkel war es, winterlich wurde es. Seine Reise zum Nordpol entblößte den Irrsinn, der dort betrieben wird. Zwischen Werbefotografen und Grenzgängern des eigenen körperlichen Vermögens hat sich Langer dort als Beobachtender und Berichtender bewegt und höchst empfindbar dieses Erlebnis beschrieben. Mit dem Titel "Im Labyrinth des gefrorenen Irrsinns – ein Fußmarsch bis zum Nordpol" brachte der Journalist die Realität des Extremtourismus in die kleine Halle im Fallenbrunnen.
Nicht als Kontrastprogramm, vielmehr als gelungene Ergänzung sang die Sopranistin "Erstarrung", nachher "Der Lindenbaum", der mit den berühmten Zeilen "Am Brunnen vor dem Tore" beginnt und oft fälschlich auch so betitelt wird.
Zwischen dem Irrsinn, dem Verrückten und dem Außergewöhnlichen des Gehens, Wanderns oder Reisens und der sehr wohl auch politisch deutbaren Schubertschen Vertonung der Winterreise entwickelte sich ein Band, das die Akteure auf der Bühne des Casinos mehr und mehr zu festigen wussten. Schubert sah möglicherweise in der Winterreise die verratene Liebe zum Vaterland durch das reaktionäre System unter Kanzler Metternich – Schubert opponierte und hatte die Gedichte Müllers in der illegalen Literaturzeitschrift "Urania" entdeckt.
Scheinbar, und so entließen Langer, Bamber und Nebel das Publikum, gehören die Einsamkeit des Wanderns, die Trostlosigkeit winterlicher Umstände und die sich daraus ergebende musikalische Darbietung, die alle Kälte und Dunkelheit wegblasen kann, zusammen. Ein Genuss den dreien zuzuhören.
Am Montag, 17. Oktober, diskutiert Freddy Langer mit dem Direktor des Deutschen Kulturarchivs, Ulrich Raulff, über Reiseliteratur. Beginn ist um 20 Uhr im Kiesel. Die Veranstaltungen werden unterstützt von der Zeppelin-Universitätsgesellschaft.