Mehr Einwohner, mehr Wohnungen, mehr Parks und Bäume, mehr Lebensqualität und vielleicht auch noch ein Planetarium? Wenn sich Bürger und Politik die Zukunft von Friedrichshafen vorstellen, gibt es so viele Wünsche wie Straßen in der Stadt. Weil es trotzdem irgendwo hingehen muss, suchen beide Seiten mittlerweile gemeinsam nach Antworten – zum Beispiel bei einem Workshop zum "Integrierten Stadtentwicklungskonzept". Hier wird verständlich, was Kompromisse sind.
Thomas Götz ist 54 Jahre alt. Der Langenargener ist Vater von drei Kindern. Die wollen in Zukunft einmal in Friedrichshafen wohnen. Das Problem: Wohnraum ist teuer, selbst in Wohngemeinschaften sollen die Preise in Friedrichshafen steigen. "Das ist der Wahnsinn, wo sich das hinentwickelt", sagt Götz. Er will das ändern.
Deshalb ist Götz am Mittwochabend gemeinsam mit rund 50 weiteren Bürgern, die meisten aus Friedrichshafen, sowie Vertretern aus Politik und Verwaltung zu einem "ISEK-Workshop" gekommen. Mit dem sogenannten "Integrierten Stadtentwicklungskonzept" will die Stadt praktisch eine neue Methode der Bürgerbeteiligung testen und gemeinsam mit ihren Bürgern die Frage besprechen: Wie soll unsere Stadt in Zukunft einmal aussehen? Und wie geht sie mit allerhand Problemen um – von der Wohnungsnot bis zum Verkehrsinfarkt?
"Da ist der Klassenkampf"
Der Workshop am Mittwochabend ist einer von insgesamt sechs ähnlichen Veranstaltungen und steht unter der Überschrift "Baukultur, Wohnen und Freiraum". Gesucht werden zum Beispiel Antworten auf die Frage, wie sich neue und größere Häuser mit mehr Wohnungen in die Innenstadt bringen lassen. Der Fachmann spricht hier von Nachverdichtung. Gleichzeitig sollen alte Gemäuer, Stichwort "Hotel Schöllhorn", erhalten und instandgehalten werden können. Passt das überhaupt zusammen?
Die Debatte ist eröffnet: "Die Frage ist doch, was der Mittelweg ist", steigt Theo Mahler, einer von rund zehn Bürgern am Tisch von Thomas Götz, in die Debatte ein. "Wir müssen prüfen, ob unsere Gegend als Kapitalanlage für Anleger aus anderen Regionen laufen soll", wirft Martin Wohlpold, vielen als Bauer auf der Schätzlesruh bekannt, in die Debatte ein. Auch Götz beteiligt sich rege am Diskurs: "Zu bauen ist für Normalverdiener derzeit fast unmöglich", sagt er und fordert entschiedenes gegensteuern was – zu Ende gedacht - wohl auch bedeuten könnte, dass manches altes gebäude größeren Neubauten weichen muss.
Damit die Gruppen, vier weitere wie jene von Götz gibt es am Mittwochabend, nicht nur debattieren, haben die Veranstalter aus Bauamt und Stadtverwaltung Aufgaben verteilt. Sie sollen ihre Ideen sammeln und zugleich Vorschläge seitens der Verwaltung kommentieren.
So füllen sich langsam die Pinnwände an allen Workshop-Gruppen. Auch Thomas Götz bring ein Kärtlein an, dem die eigene Runde vollauf zustimmt: "Bepflanzung der Flachdächer. Grünfläche, Naherholung" steht darauf. Seine Idee: Wenn das Grün in der Stadt knapp wird, kann es doch auch auf und in neuen Gebäuden Platz finden – ein Trend, der längst die Großstädte erfasst hat.
Andere Ideen, wie ein Apell für Lehmhäuser von Teilnehmerin Eva Schöllhorn, Mitglied im Naturschutzverband BUND, schlagen sich dagegen nicht an der Wand nieder. Lautstark ist sich die Gruppe aber bei etwas anderem einig: "Wohnraum für Führungskräfte schaffen" – diesen Vorschlag tilgen die zehn einstimmig von der Vorlage der Stadtverwaltung. "Da ist der Klassenkampf", sagt später ein anderer Teilnehmer schmunzelnd.
Was in diesem Abend deutlich wird, ist, wie sich in der kleinen Runde am Tisch die Positionen annähern. Viele der Bürger sind mit ganz klaren Vorstellung "ihrer" Zukunft der Stadt angetreten. Doch dann wurde wohl klar: Das eine kann nicht passieren, ohne anderswo Abstriche zu machen. Der Kompromiss, Herzstück jeder politischen Debatte, zeigt beim ISEK-Workshop seine Stärke.
"Man kann es nicht jedem Recht machen. Jeder muss sich klar machen, was man selber will und was die Gemeinschaft will", sagt Thomas Götz am Ende des Abends, sichtbar zufrieden mit der Veranstaltung. Laut ihm kommt es jetzt vor allem auf eines an: "Jetzt ist die Frage: Was von unseren Anmerkungen wird von der Stadtverwaltung wirklich angenommen und ernst genommen."
Das steckt hinter ISEK
Das "Integrierte Stadtentwicklingskomnzept" (ISEK) ist ein Verfahren, mit dem die Stadt Friedrichshafen gemeinsam mit Bürgern ein Modell der künftigen Stadtentwicklung zeichnen will.
In Bürgerbefragungen, Workshops und weiteren Veranstaltungen sollen zentrale Probleme der Stadt besprochen werden und nach Lösungen gesucht werden. Praktisch jeder kann dabei mitmachen.
Die Ergebnisse der Workshops werden von der Stadt gesammelt und ausgewertet.
Der Knackpunkt des Konzepts: Gelingt es der Stadt die Ideen und Sorgen der Bürger am Ende in ein glaubhaftes und transparentes Gesamtkonzept zu packen?
Zwei Workshops, zu den Themen "Handel, Innenstadt" sowie "Kultur, Bildung, Gesundheit, Soziales" finden noch statt - und zwar am 21. und 26. Juli von jeweils 18.30 Uhr bis 21 Uhr in der "ISEK-Werkstatt" im Technischen Rathaus.
Kurzfristige Teilnehmer sind zwar zugelassen, die Stadt bittet aber um Anmeldung unter
www.friedrichshafen.de