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Er wünschte Flüchtlingen den Tod

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Seit Beginn der Flüchtlingskrise vergeht kein Tag, an dem im Internet nicht gegen Flüchtlinge gehetzt wird. Die sozialen Netzwerke, allen voran Facebook, sind voll von rechter Propaganda, die auch vor Mordaufrufen keinen Halt machen. Aber wer schreibt so etwas? Zum Beispiel ein Mann aus dem Bodenseekreis.

Die Vorgeschichte

Ein Aufruf zum Mord, er schreibt sich besonders bequem in der Sonne Kroatiens. Sommerende 2015: Ein Mann aus dem Bodenseekreis hat Urlaub und genießt Rotwein und Zigaretten im fernen Süden. Da stolpert er über einen angeblichen Nachrichtenpost einer Regionalzeitung auf Facebook: "22-jähriger Asylbewerber vergewaltigt Frau im Kurpark", heißt es da mit Bezug zu Oberschwaben.

Was der Mann nicht weiß: Seine Reaktion auf diese Nachricht wird ihn nicht nur eine Stange Geld kosten. Sie wird ihn auch in eine Kette unfassbar abstruser Widersprüche verwickeln. Er wird Monate später mit Flüchtlingen Silvester feiern und gleichzeitig deren Abschiebung – wenn nicht Schlimmeres – verlangen. Und er wird nicht verstehen, warum all das ein Problem ist. Sein Problem ist zu diesem Zeitpunkt nur die Nachricht auf dem Handybildschirm.

Hass und Vorurteile

Nicht zu erkennen, dass sie eine Fälschung ist, ist der erste Fehler, den er macht. Niemals hat eine Zeitung so getitelt. Zwar gab es die Vergewaltigung wohl wirklich. Ob der Täter aber ein Asylbewerber war, ist erstens unbekannt, zweitens wegen des Pressekodex, den Verhaltensregeln der Presse, nur dann zu veröffentlichen, wenn "für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht." Wer auch immer die Nachricht auf Facebook mit einem gefälschten Verweis auf einen angeblichen Asylbewerber als Täter weiterverteilt hat, wollte also schlicht Hass und Vorurteile schüren. Es ist gelungen.

Der junge Mann aus dem Bodenseekreis setzt sich ans Smartphone und macht sich daran, zwei Kommentare zum vermeintlichen Verbrechen des Asylbewerbers zu schreiben: "Scheiß Asylanten", beginnt er zu tippen. Der erste Kommentar endet mit einem Bezug zum Konzentrationslager Dachau. Der zweite ist nicht weniger brutal: "Die deutsche Demokratie ist für’n Arsch was bringt Knast geht denen doch immer viel zu gut abschieben oder erschießen, das ist die Lösung", lautet er, frei von Punkt und Komma. Wenige Wochen später wird der Konstanzer Staatsanwalt Johannes-Georg Roth die Zeilen mit nur einem Wort kommentieren: "Widerlich."

Facebook will prüfen

Er und die Polizei haben es seit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen immer öfter mit sogenannter Hasskriminalität im Internet zu tun. Längst bekannt ist die Tatsache, dass Facebook auf Druck der Bundesregierung Posts auf Hass und volksverhetzende Inhalte prüfen will. Gefälschte Nachrichten und rechte Kommentare sind aber nicht nur ein Problem in Berlin oder Ostdeutschland. Auch im Bodenseekreis hat Hass im Netz Konjunktur. Zwar kamen 2014 nur drei Fälle im Kreis zur Anzeige. Doch schon 2015 ist die Zahl laut vorläufiger Statistik der Polizei "angestiegen", so ein Sprecher. Viel höher als die absoluten Zahlen dürfte die Dunkelziffer sein – tausendfache Rechtspropaganda im Netz, die nie zur Anzeige kommt.

Dieses Glück hatte der junge Mann in der kroatischen Urlaubssonne allerdings nicht. Mitte Dezember erhält er nämlich Post vom Amtsgericht Überlingen. 4500 Euro Strafe soll er für die Verbreitung seiner Hasstiraden bezahlen. Zwar war sein Post kaum eine Stunde zu lesen, ehe er ihn auf Anraten von Familienmitgliedern wieder löschte. Doch eine aufmerksame Bürgerin hatte die Zeilen da schon zur Anzeige gebracht. Tatbestand: Volksverhetzung.

Als die SZ den Mann trifft, versteht er die ganze Aufregung nicht.

Das Treffen mit dem Verfasser

"Facebook, da schreibt doch jeder einen Blödsinn rein. Mir war nicht klar, dass das so viele sehen", sagt der junge Mann in diesem Gespräch. Er sei doch nur ein "deutscher Bürger" und mit der Situation im Moment einfach nicht zufrieden. "So kann es doch in diesem Land nicht weitergehen", sagt er weiter. Die Worte klingen wie aus einer NPD-Wahlkampagne.

Früher, da sei er tatsächlich einmal ein Nazi gewesen, berichtet er. "Da habe ich die NPD gewählt. Ich habe geglaubt, dass dann alles besser wird." Längst habe er aber seine rechte Gesinnung abgelegt. Er, der "deutsche Bürger", wolle mit so etwas nichts mehr zu tun haben. Als der Satz "Gewalt, nein das ist keine Lösung", von ihm fällt, wird es allerdings erst richtig absurd.

Ausländische Freunde

Waren die Zeilen auf Facebook also nicht eine Aufforderung zum Mord? Nein, so will er das nicht verstanden wissen. Klar, räumt der junge Mann ein, "wenn einer meiner Freundin hinterhergeht und sie vergewaltigt, dann gehe ich nicht zur Polizei." Sie meinen, wenn der Täter ein Flüchtling ist? "Bei Vergewaltigung verstehe ich keinen Spaß. Mit einem Deutschen würde ich es genau so machen." Also sind Ausländer und Flüchtlinge gar nicht das Problem? Nein, sagt der Mann wieder, "ich habe viele Freunde, Russen, Türken, Italiener". Alle seien immer sehr nett zu ihm gewesen, da habe es eigentlich nie Probleme gegeben. "Bei denen war ich halt der kleine Nazi", sagt er lachend. Auch habe er einen Arbeitskollegen, einen Flüchtling. "Der spricht immer besser deutsch." Das ändere aber nichts daran, dass Deutschland einen Fehler gemacht habe, wenn es Massen von Menschen willkommen heiße, die sich "ins gemachte Nest setzen würden."

Immer mehr verstrickt sich der Kommentarschreiber nun in Widersprüche und kuriose Aussagen. Sein Post? So etwas sage man halt auf Facebook, wie man eben unter Freunden auch mal deutliche Worte sage. Flüchtlinge? Nicht per se ein Problem, aber es seien halt viele darunter, die sich nicht an Regeln und Anstand halten würden – Moslems vor allem.

Die Lösung? Allesamt raus aus Deutschland, da ist sich der Mann wieder sehr sicher. "Sie wissen, dass die Rückkehr in ihre Heimat für manche Flüchtlinge den sicheren Tod bedeutet?" Ja, sagt er. Das sei tragisch. Aber dafür müssten andere eine Lösung finden, nicht er.

Der Verfasser des Hass-Posts beginnt nun, aus seiner Freizeit und seinem Familienleben zu berichten. Es kommt heraus, dass er an Silvester sogar mit Flüchtlingen auf der Straße gefeiert hat. "Da waren 50 Leute. Wir haben da draußen Party gemacht. Und ich war mittendrin," erzählt er stolz. Besonders die Flüchtlingskinder scheinen ihren Spaß mit dem Facebook-Schreiber gehabt zu haben. Immer wieder habe er auf deren Wunsch Feuerwerk gezündet. Sein Eindruck: "Ich war positiv überrascht, dass die sich so freuen." So kurios es klingt: Statt Problemen scheinen viele Begegnungen des jungen Mannes mit Flüchtlingen und Ausländern wohl geradezu erfreulich gewesen zu sein. Dass dies im Widerspruch zu seinen Worten auf Facebook stehen könnte, kommt ihm nicht in den Sinn.

Haben Sie möglicherweise Unsinn im Internet geschrieben? Nachdenkliches Schweigen. Ja, wenn er die Folgen gekannt hätte, hätte er seine Meinung für sich behalten.

Das Nachspiel

Weil er Einspruch gegen die Höhe der Strafe eingelegt hat, ist das Verfahren gegen den Mann noch in der Schwebe, bestätigte ein Sprecher des Amtsgerichts Überlingens am Montag im SZ-Gespräch. Doch neben der mutmaßlich schmerzhaften Geldstrafe jagte das Zündeln im Netz dem Mann noch einen Schrecken ein: Nur wenige Wochen nach dem Post hatte nämlich die neue Asylunterkunft in Oberteuringen gebrannt. Es war ein Anschlag.

So kam es, dass die Polizei plötzlich mit einem Durchsuchungsbefehl vor der Wohnung des Facebook-Kommentators stand. Nach dem Stand der Ermittlungen ist er zwar nicht der Mann, der hinter dem Anschlag steckt. Was es bedeutet, fahrlässig Hass- und Gewalttiraden im Internet zu verbreiten, dürfte ihm nun trotzdem im Gedächtnis bleiben.


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