Wohin entwickelt sich Friedrichshafen? Antworten auf diese Frage soll das Integrierte Stadtentwicklungskonzept (ISEK) geben, an dem zurzeit eifrig gearbeitet wird. Im Gespräch mit Martin Hennings erklären Markus Müller aus Meckenbeuren, Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg, und sein Häfler Kollege Dietmar Kathan, Vorsitzender der Kammergruppe Bodenseekreis, wie sie sich den Prozess vorstellen. Für den Hinteren Hafen gibt’s konkrete Ideen.
Nicht nur Architekten haben immer wieder einen städtebaulichen Masterplan für Friedrichshafen gefordert. Nun läuft seit einigen Wochen ein Prozess, an dessen Ende ein "Integriertes Stadtentwicklungskonzept" (ISEK) stehen soll. Wie beurteilen Sie das, was bisher geschehen ist?
Dietmar Kathan: Grundsätzlich natürlich sehr positiv. Es ist gut, dass sich auch Friedrichshafen auf den ISEK-Weg gemacht hat. Das betreuende Büro hat sicher Qualität. Viele sind im Vorfeld interviewt worden, auch ich. Allerdings habe ich bisher noch keinen der von mir dabei angesprochenen Ansätze wiederentdeckt.
Markus Müller: In den vergangenen Tagen hat die Stadtverwaltung einen Veranstaltungskalender für die Themen im ISEK-Prozess vorgelegt. Man müsste jetzt einen Plan mit einer Zeitachse haben, der festlegt, wann und wie die vielen Inputs von Fachleuten und Bürgern auch planerisch verarbeitet werden. Die Stadt Karlsruhe hatte beispielsweise im dortigen Prozess drei Planungsteams beauftragt, die alternative Szenarien entwickelt haben. Darunter übrigens eine Arbeitsgemeinschaft lokaler Büros.
Welche Fragen muss ISEK denn beantworten?
Müller: Eine heißt: Wo und wie ist Wachstum in Friedrichshafen verträglich und sinnvoll möglich? Es gibt Stadtfelder in Friedrichshafen, die eine höhere Dichte vertragen, und andere, die eher landschaftlich entwickelt werden. Aus dieser Differenzierung könnten sich dann die Teilidentitäten ableiten.
Kathan: Wir haben zum Beispiel in der Innenstadt oft zweigeschossige Bebauung, weil das früher einmal der Rand der Stadt war, beim Hinteren Hafen etwa oder in der Keplerstraße. Hier könnte man sicher an vielen Stellen dichter und höher bauen.
Müller: Die nächste Frage lautet: Wie geht die Stadt mit den enormen Leerstellen im Wegenetz um. Die allgemeine Unzufriedenheit mit den vielen Baustellen hängt wesentlich damit zusammen, dass die großen Erschließungsachsen teilweise untereinander nicht vernetzt sind. Auf einer Länge von 1,5 Kilometer ist die Paulinenstraße zum Beispiel durch Bahn, Flughafen, Industrieflächen nicht mit den rückwärtigen Straßen vernetzt. Solche Beispiele innerhalb der Stadt gibt es zu viele. Städtebaulich eine entscheidende Frage ist darüber hinaus: Wo darf die Stadt nicht mehr wachsen? Ich glaube, dass wir ein Freiraum- und Grünflächenkorsett brauchen. Wir müssen festlegen, wo die Menschen auch in Zukunft buchstäblich Luft zum Atmen haben sollen.
Kathan: Wir müssen auch über Flächenmanagement sprechen. Die Stadt Wien zum Beispiel ist der größte Grundstückseigentümer in ihrem Stadtgebiet. Stadtplanung kann dadurch steuern, was auf Flächen passieren darf und was nicht. Dazu ist erforderlich, dass man an städtebaulich wichtigen Stellen das Vorkaufsrecht nutzt, das die Stadt bei jeder Grundstücksveräußerung hat.
Müller: Die Frage ist letztlich, welchen Anspruch die Stadt an sich selbst hat. Ich glaube, dass Friedrichshafen und seine Bürger an das Thema Stadtplanung mit viel mehr Selbstbewusstsein herangehen könnten. Denn an Friedrichshafen orientiert sich die gesamte Region.
Kathan: Das ist meiner Einschätzung nach ein Problem des ISEK-Prozesses: Ich sehe keine Verbindung zu anderen Städten, obwohl zum Beispiel in Tettnang Vergleichbares läuft.
Die Architektenkammer spricht sich dafür aus, bei Neubauten Architektenwettbewerbe zu machen. Kostet das nicht viel zu viel Zeit und Geld?
Müller: Wettbewerbe sind ein bewährtes Planungsinstrument, mit dem Bauherren qualifizierte Lösungsalternativen für eine Bauaufgabe gewinnen können. Die Ergebnisse und das öffentliche Interesse an den Wettbewerben der vergangenen Jahre in Friedrichshafen bestätigen diese landesweite Erfahrung. Leider wurde diese Chance bei maßgeblichen Projekten nicht ergriffen, obwohl die Kammer nachdrücklich dafür geworben hatte, sie als zentrales architektonisches und städtebauliches Thema für Friedrichshafen zu begreifen. Es gibt in Friedrichshafen bedauerlicherweise einige Bauten, die mit großen Ambitionen gestartet und dann als architektonische Bettvorleger gelandet sind.
Zum Beispiel?
Müller: Ich möchte an der Stelle nicht einzelne Projekte nennen.
Kathan: Ich glaube nach wie vor, dass auf Grundlage des Planungskodex der Stadt bei wichtigen Projekten ein Wettbewerbsverfahren verbindlich durchgesetzt werden sollte. Das ist offener, kostet nicht mehr Zeit und bringt viele gute Ideen und Lösungsansätze.
Müller: Zunehmend wird erkannt, dass in der guten Wettbewerbsvorbereitung die vielfältigen Aspekte eines Bauprojektes deutlich werden und Bauherr, Stadt und Öffentlichkeit priorisieren können, was wirklich wichtig ist.
Zwei große städtebauliche Themen bewegen Friedrichshafen im Moment: der Hintere Hafen und die Friedrichstraße. Ist die Stadt hier auf einem guten Weg?
Kathan: Beim städtebaulichen Rahmenplan für die Friedrichstraße hat die Stadt viel richtig gemacht. Jetzt gilt es, den Plan mit Nachdruck umzusetzen.
Und beim Hinteren Hafen?
Müller: Die Chancen, die das Gebiet, das genauso groß ist wie die Altstadt, zweifellos eröffnet, müssen schrittweise und offen diskutiert werden. Dazu gehört zuallererst die Bedeutung, die das Areal als zentrales Erweiterungsprojekt der Innenstadt hat. Es geht um die Erreichbarkeit und Erschließung der vorhandenen Innenstadt von Norden und von Osten, um so kontroverse Fragen wie Nutzen und Problematik des Bahndamms zum Hafenbahnhof, der wie ein Riegel wirkt. Ich meine damit, wie mit den enormen Baumassen, den "Monolithen" C&A-Gebäude, Parkhaus, Werft und Zeppelin-Museum, städtebaulich adäquat umgegangen werden kann. Bis hin zur Chance, die in einem Museumsquartier aus Mobilitätsmuseum, einem Zeppelin-Museum mit stärkerer Konturierung von Kunst und Technik, vielleicht sogar einem neuen Kunstmuseum am Hinteren Hafen steckt, in dem Zeppelin-Kunstsammlung, ZU-Kunststiftung und die OEW-Sammlung zusammengeführt werden könnten. Es könnte Raum geben für ein Tophotel und für qualitativ hochwertiges Wohnen direkt am See.
Ich bin mir sicher, Sie fordern einen städtebaulichen Wettbewerb für den Hinteren Hafen.
Kathan: Klar, möglichst auf der beschriebenen Grundlage und auf Basis einer breiten Diskussion im ISEK-Prozess. Vielleicht auch mehr als einen Wettbewerb. Einen besseren Platz als diesen gibt es dafür nicht.